Kunst zu den Menschen bringen! (Artikel aus der LYDIA)

Artikel für das Frauenmagazin LYDIA / Ausgabe Nov. / 2020 

Viel mehr als wir es uns ausmalen können, kann Kunst Menschen inspirieren, bereichern und verändern. Die Formen sind dabei vielfältig: Kunstwerke betrachten oder selbst zum Pinsel greifen, Musik hören oder selbst musizieren, beim Tanz zusehen oder selbst tanzen. Kunst kann das Innerste eines Menschen berühren, neue Sichtweisen eröffnen, Kraft und Kreativität entfachen.


Es gibt viele Möglichkeiten, den Künstler in sich zu wecken. Kunst ist eine eigene Welt, aber im Hier und Jetzt erlebbar. Das macht sie so überaus wertvoll. Für den gläubigen Menschen kommt eine weitere Dimension hinzu: Kunst kann uns helfen, mit Gott in Beziehung zu treten. Er ist der Schöpfer (lat. creator), und er hat uns Geschöpfe mit Kreativität ausgestattet. Bei all dem Kunstvollen auf der Welt will er uns an Schönem und Tiefem teilhaben lassen und uns auf diese Weise etwas mitteilen.

Kunst entdecken

Für viele bleibt die Kunst jedoch unzugänglich. Wege dahin liegen brach oder bleiben versperrt durch zu wenig Erfahrung und Wissen, aber auch durch mangelndes Zutrauen in sich selbst. Schon früh habe ich mich gefragt: Wie nähert man sich Kunst? Die Antwort, die ich gefunden habe, lautet: am besten, indem man sie von ihrem Sockel herunterholt, sie offen betrachtet und für sich persönlich entdeckt und gewinnt.

Als Kind durfte ich von klein auf kreativ sein. Egal, ob zu Hause oder in der Natur, ich konnte basteln, werkeln, malen oder musizieren. Selbst machen und etwas Neues auf die Beine stellen, das war meine große Freude! So ist es bis heute.

In der Familie erlebten wir Kunst vor allem in Form von klassischer Musik, fast überall war sie zu hören. Durch Beschreibungen und Geschichten versuchte mein Vater, meinen Geschwistern und mir die Kompositionen zugänglich zu machen, von Bach bis Bruckner. Das stieß mal mehr, mal weniger auf offene Ohren. Doch es hat mir etwas gezeigt – es braucht Geschichten und Bilder im Kopf, um zu verstehen.

Schließlich machte ich Kunst und ihre Geschichten zu meinem Beruf. Anfangs arbeitete ich als Kunsthistorikerin in verschiedenen Galerien. Dann lernte ich immer mehr die Kunst-Begegnungen zu schätzen, die Menschen berührten und verstehen ließen. So machte ich mich selbstständig und verlagerte meine Schwerpunkte auf die Bereiche Kunstpädagogik und Kreativcoaching.

Immer wieder stelle ich in meiner Arbeit mit allen Altersgruppen fest, wie positiv sich künstlerisches und kreatives Tun auf das Verhalten auswirkt. Äußerst umtriebige und aktive Kinder werden dabei oft zu konzentrierten, aufmerksamen kleinen Künstlern. Die Freude über das eigene Werk, der Stolz, etwas Eigenes geschaffen zu haben – es ist bewegend mitzuerleben, wie es ist, wenn Kunst lebendig und verändernd wirkt.

Kunst als Heilmittel

Um die Zusammenhänge besser zu verstehen, fing ich an zu recherchieren. In vielen Artikeln und Studien fand ich, was ich selbst erlebt hatte: die therapeutische Bedeutung von Kunst, die wissenschaftlich belegt ist. Diese Wirkung ist unabhängig von der Altersgruppe und unabhängig davon, ob Kunst rezipiert oder selbst geschaffen wird.

Die Neurowissenschaften und die Hirnforschung haben in den letzten Jahren erstaunliche Erkenntnisse hervorgebracht. Bereits 45 Minuten Malen können den Stresspegel um fünfzig Prozent senken, je nachdem, wie sehr man sich darauf einlässt und wie sehr man beim kreativen Tun in einen Flow kommt. Durch MRT-Messungen bei älteren Menschen vor und nach einem kreativen Prozess hat man sogar Veränderungen an der Gehirnform festgestellt: Die Dichte der neuronalen Verbindungen im Gehirn nimmt zu, was sich wiederum positiv auf das Denk- und Erinnerungsvermögen auswirkt. Ähnliche Phänomene zeigten sich in anderen kreativen Bereichen, etwa beim Lesen und Schreiben, bei ausdrucksvollen Bewegungen oder beim Musikhören. Hört man beispielsweise vor einem anstrengenden Meeting seine Lieblingsmusik, sinkt der Cortisolspiegel im Blut und man geht entspannter ins Treffen.

Intuitive Erkenntnisse

Wie verändernd Kunst und Musik wirkt, habe ich selber während meiner Ausbildung beim Musizieren in der Gruppe erlebt. Ich wechselte vom Klavier auf ein Monochord – ein Zupfinstrument, bei dem über einen rechteckigen Resonanzkörper mehrere Saiten gespannt sind und das im Ganzen nur einen Ton zum Klingen bringt. Das Klavier, das ich gerne spiele, ist ein sehr vielseitiges, ton- und rhythmusangebendes Instrument. Als ich dann das Monochord in die Hand nahm, merkte ich, wie gut es mir tat, nur den einen Ton klingen zu lassen. Dieser eine Ton – er war genug! Auch in der Gruppe war es wohltuend, kein dominantes Instrument zu spielen, sondern den anderen durch meine Beschränkung mehr Raum für ihre eigenen Töne zu geben.

Im anschließenden Austausch über die Reduktion am Beispiel der Musik hatten wir alle das Gefühl, etwas Bedeutungsvolles für den Alltag gelernt zu haben: Weniger ist mehr. Eigentlich wusste ich das mit dem Kopf schon lange, aber so erfahren war die Erkenntnis sehr nachhaltig. Dankbar war ich, danach auch mit Gott im Gebet darüber sprechen zu können.

Ja, es braucht die Reduktion, die Pausen, die Leerräume – in der Musik und in der Kunst. So gibt es in jedem Bild weiße Stellen, helle Passagen, Ruheflächen, die es erst ermöglichen, dass andere Farben leuchten oder Licht und Schatten entstehen. Auch jeder Tanz braucht die Pause, niemand kann unermüdlich über die Bühne wirbeln.

Da mich die ganze Thematik so sehr interessiert, habe ich eine anderthalbjährige Weiterbildung in Kreativ- und Musiktherapie absolviert und mich zum Kunstcoach zertifizieren lassen. Immer wieder habe ich bei meiner Arbeit tiefe Erkenntnisse und erlebe Horizonterweiterungen, etwa bei Bildmeditationen oder Reflexionen über Kunstwerke. Gerne bitte ich jemanden, darüber nachzudenken, welche Farbe ihn besonders anspricht und was die Grundfarbe in seinem eigenen Leben sein könnte. Besonders aufschlussreich ist es, wenn ich mein Gegenüber auffordere, herauszufinden, welche Person er oder sie in dem vorgelegten Bild gern sein würde.

Selbst Künstler sein

Mir ist es ein Anliegen, Menschen zu ermutigen, sich selbst als Künstler zu versuchen. Die Konzentration auf die eigenen Schaffensfähigkeiten ist ein Schatz, der uns mehr und mehr verloren geht, da es so viel gibt, was wir Tag für Tag passiv konsumieren – Bilder, Töne, Nachrichten, Filme und eine Flut von anderen Informationen. Es ist heute sehr leicht und verlockend, im Internet von einer Zerstreuung zur nächsten zu surfen.

Doch der Mensch ist ein großartiges Geschöpf Gottes, mit Begabungen und  Fähigkeiten ausgestattet. In der Bibel fordert Jesus uns auf, unsere Talente zu entdecken und für ihn einzusetzen (Matthäus 25,14–30). Das gilt auch für die künstlerisch Gabe, mit der wir unserem Schöpfer besonders nahe sein können Seit Jahrtausenden streben Menschen ja immer wieder danach, mit ihrer Kunst Gott zu ehren, sei es in der instrumentalen Musik, im Gesang, in der Malerei oder in der Architektur. Und niemand muss einem Bach, einem Bernini oder Michelangelo nacheifern, um den Wert und die Wirkung künstlerischen Schaffens erkennen und spüren zu können.

König David versteht es besonders gut sein Leben und seinen Glauben mit den Künsten zu verbinden. So war er nicht nur ein begnadeter Poet und Verfasser zahlreicher Psalmen, die bis heute Menschen auf der ganzen Welt berühren, sondern auch Musiker und Musiktherapeut. Wie oft hat sein Spiel auf der Lyra Sauls impulsives Verhalten und seine Wutausbrüche in besänftigende Bahnen geleitet! Saul war danach wie verwandelt – die Musik hat ihn aus seinem Tief befreit, ihn getröstet und heilend gewirkt.

In jeder Zeit gilt es, genau hinzuhören und hinzuschauen, was Gott uns auf dem Weg mitgeben will. Er hat viele Wege geebnet, um sich bemerkbar zu machen und unsere Herzen zu berühren. Kunst, Musik, Bilder, Tanz und Worte gehören dazu. Sie bereichern unser Leben, wecken die Sinne und zeigen neue Blickwinkel auf. Und ja, sie können uns so ansprechen und verändern, dass das Erlebte tiefe Wurzeln in uns schlägt.

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